Titel: Ein flüchtiges Leuchten
Autor: Juha Itkonen
Übersetzer: Stefan Moser
Verlag: Droemer Knaur
Seiten: 544
Erscheinungsdatum: 1.10.2014
Gekauft: Das habe ich zu Weihnachten geschenkt bekommen.
Fertig gelesen: 14.3.2015
Ort des Lesens: Zug, Bett. Ich habe das Buch ziemlich rumgeschleppt und es lange nie ganz fertig gelesen.
Handlung: Ein Generationenroman. Ich überlege noch, ob ich mich der „offziellen“ Meinung anschließen soll und es einen Drei-Generationen-Roman nenne, ich weiß wohl, warum hier von drei Generationen die Rede ist, aber von der Dritten erfährt man nur durch die zweite etwas, deswegen neige ich dazu, es einen Zwei-Generationen-Roman zu nennen. Diese zwei Generationen kommen im Roman immer abwechselnd zu Wort, in unterschiedlicher Form. Liisa und Esko bilden die älteste Generation, sie heiraten in den 60ern, Esko ist Radiovertreter, es geht ihnen (wirtschaftlich) gut, sie haben drei Kinder: Esa, Timo und Ville. Über die wird in der dritten Person berichtet, die Kapitelüberschriften sind Jahreszahlen, damit wir wissen, wo wir uns gerade befinden und schön dem Lauf der Zeit folgen können. Die mittlere Generation, der Sohn Esa, schreibt dazwischen Briefe (oder: einen langen Brief) an seine Tochter Miia, er schreibt ihr quasi sein ganzes Leben. Und so kommt man von den 60ern bis ins Jahr 2011, 50 Jahre Famliengeschichte, 50 Jahre die Familie Vuori.
Sprache: Ich mag Stefan Moser generell ganz gerne als Übersetzer, von dem, was mir bisher bekannt ist. Insgesamt finde ich das Buch recht „finnisch“, langsam, lakonisch, nahezu sanft. Ich weiß nicht, ob man das so sagen kann. An zwei Stellen (mir fällt aber gerade nur eine ein) fand ich es quasi zu viel übersetzt, da denkt man auf deutsch, dass da das englische Wort stehen sollte (auf finnisch steht es da aber, glaube ich, auf finnisch). Die eine Stelle ist jedenfalls, dass da „englischer Frühstückstee“ steht und ich vermute, dass es um English-Breakfast-Tee geht. Aber das ist auch nicht so rasend wichtig.
Meinung: Es ist als wäre das mein Buch und deswegen mag ich das Buch. Das tut mir fast ein bisschen Leid für das Buch, denn man kann es wohl auch diese überemotionale Komponente mögen.
Aber das Buch fängt mit dem Satz „Ich hasse Tschechow“ an und Esa sitzt in Tampere und hört Joy Division, der Mond spielt eine zentrale Rolle (inklusive David Bowies Space Oddity), selbst die New-York-Reise beschreibt, was ich gesehen habe und wenn es nach Florida geht, dann auf der I-95, auf der bin ich auch gefahren, aber viel weiter oben. Trotzdem: Es ist als würde ich alles in dem Buch kennen. Außerdem ist meine finnische Seele noch empfindsamer als meine russische und das will ja auch was heißen. Für latente Kapitalismuskritik bin ich auch immer zu haben und die Einsamkeit von Esa erreicht mich ebenfalls. Es ist ein bisschen melancholisch dieses Buch, eine Reise in die Vergangenheit, eine Reise nach Finnland und trotzdem wohl auch ein bisschen universell. Esa ist außerdem ein Charakter, den ich nachvollziehen kann, ich kann verstehen, warum er denkt, was er denkt, auch wenn ich das nicht immer richtig oder gar weise finde. Aber das gefällt mir gut.
Ich glaube, Menschen, die auf all diese Dinge nicht so reagieren wie ich, könnten dieses Buch zu lang finden. Es gibt ja auch Menschen, die Gottes Werk und Teufels Beitrag zu lang und langweilig finden. Wer das tut, sollte das vielleicht nicht lesen.
Was ich übrigens überhaupt nicht verstehe ist das Cover. Das finnische Cover zeigt eine Szene, die sowohl im Buch direkt beschrieben wird als auch als Symbol gut geeignet ist für den Inhalt. Aber was soll die deutsche Version? Was hat die mit dem Buch zu tun? Das Haus ist nicht besonders finnisch (oder auch: kein bisschen finnisch), die Figuren stimmen überhaupt nicht mit der Familie oder irgendeiner Familie im Buch überein, außerdem sind in dem Buch ja auch keine Plastikfiguren, eher im Gegenteil. Vielleicht geht es um den Schein? Das man so tut als wäre alles gut? Aber das passt eigentlich auch gar nicht. Falls mir das jemand erklären könnte, das wäre ganz prima.
Ich habe viel zu viele Stellen rausgeschrieben:
Der Tag ist schön und sinnig, die Luft warm, aber nicht zu heiß. Sie wie es in Finnland Ende August sein kann, wenn man Glück hat, denkt Esko, zur Erntezeit, vor den Herbstregenfällen. Der Himmel ist freilich auf andere Art blau, schwer zu bestimmen wie, aber der zehntausend Kilometer von zu Hause entfernte Himmel ist anders. (S. 12)
Vor kurzem habe ich die ganzen Sachen über den Mond hervorgeholt. Ich musste dafür auf den Dachboden steigen, dort waren sie, genau wie ich es in Erinnerung hatte, in einem Karton von Pioneer. Ich hatte ihn im August 1981 an meinem letzten Arbeitstag im Lager des Geschäfts in der Sibeliuksenkatu mitgenommen und alles hineingepackt, von dem ich dachte, ich würde es in Tampere brauchen, alles Unverzichtbare, von dem ich mich nicht trennen wollte. Es war der erste Karton, später kamen weitere hinzu, ich bin ein unverbesserlicher Hamsterer, wie du weißt, ich habe mir ein zusätzliches Speicherabteil gemietet, damit ich genug Platz für meine Erinnerungen habe. Erinnerungen haben nämlich unter anderem den Nachteil, dass sie höllisch viel Platz wegnehmen. Erinnerungen wiegen viel. Und sie sind teuer. Ich zahle fünfundzwanzig Euro im Monat für das Vergnügen, nicht aus Versehen etwas zu vergessen. (S. 42f)
Häuser und Grundstücke, Sommerhäuser und Waldstücke, Uferlinien und Bootslandestellen. Jemand besitzt sie, aber unter Umständen gehören sie einem anderen. Eigentlich gehört die Landschaft denen, die sie lieben. (S. 139)
Die Art und Weise, wie es geschah, ist von Bedeutung, denn sie hat den Kapitalisten erlaubt, auf dem Grab des Sozialismus zu tanzen, und das tun sie nach wie vor. (S. 241)
Alles, was wichtig ist, bleibt unausgesprochen. Alles Wesentliche, worüber wirklich geredet werden müsste, behalten die Menschen für sich. Darum ist das Leben so, wie es ist, ein einziges Rätsel. Ein Tappen im Dunkeln. Ein Missverständnis nach dem anderen. (S. 259)
Warum taten diese Menschen das? Was hielt sie in Bewegung? Selbstbetrug, Blindheit oder Dummheit? Warum gaben sie nicht einfach auf? Warum gaben nicht alle Menschen auf der ganzen welt gleichzeitig auf? Es hatte doch alles keinen Sinn Alles war in gleichem Maße vergebens, alles ging ohnehin unter, nichts blieb übrig. In jenem Herbst, in jenem Zimmer kamen mir solche Gedanken wie Erkenntnisse vor, wie Momente der Vernunft: Ich hatte etwas verstanden, was keiner vor mir verstanden hatte. (S.307)